Bruno Feger · Augenblick verweile doch
Galerie im Prediger · Schwäbisch Gmünd, 29. 9. 2017 · Rede von Dieter Brunner
Meine Damen und Herren,
Die Auseinandersetzung mit der Natur und deren Verbildlichung in Skulpturen steht im Mittelpunkt der künstlerischen Arbeit von Bruno Feger. Viele seiner Werke beziehen sich auf gewachsene Formen und sind den Gesetzmäßigkeiten der Natur entlehnt, sie reflek-tieren Natur und den Umgang des Menschen mit ihr.
Feger sieht sich innerhalb einer über Zeiten gewachsenen Tradition, dennoch muss er – ausgehend von der abstrakten Form – die Naturform gleichsam auf langen und verzweigten Wegen wiedererfinden, von Grund auf neu aufbauen: Feger kommt gleichsam über den "Umweg" der Abstraktion zum Gegenstand. Er übersetzt das Naturbild in die Eigensprache des Materials, zunächst des Holzes, seit Ende des letzten Jahrtausends v.a. des Stahls.
Immer ist der Bezug von Natur zum Menschen, ja der Mensch selbst, das eigentliche Thema. Fegers Werk verweist auf die Neigung des Menschen, sich Ideal-welten nach seinen Vorstellungen zu schaffen, die symbolisch der Natur angediehen sind. Der Künstler sagte hierzu einmal: "Die Paradiesgeschichte ermächtigte den Menschen zur Wahrnehmung und Deutung der Welt, eingetauscht mit der Sterblichkeit und damit der Zeitlichkeit".
Die Entmachtung der Zeit ist augenblicklich Fegers wichtigstes Anliegen. In der griechischen Götterwelt wurde die Zeit in ihrer Doppeldeutigkeit – das Augenblickliche gegen das Überdauernde (der Fluß der Zeit) – , in Kairos und Chronos, zu fassen versucht. Dieser Widerspruch findet sich in Fegers „floralen Portraits“ in Bezugnahme auf das Vorbild des Naturgegenstands und in der Verwendung von Stahl als Material für die Skulpturen wieder.
Entwicklung
Wie Sie in der heutigen Ausstellung sehen können, kommt Feger erst über die Wachsmalerei und später über die Holzskulptur zu seinem zentralen Metier, der Skulptur aus Stahl.
Dort konnte er seine Erfahrungen aus den anderen Medien einfließen lassen, sich aber auch den neuen technischen und formalen Herausforderungen stellen.
Wachsbilder
Nach ersten malerischen Anfängen fühlte Bruno Feger sich sehr schnell an die Grenzen der Malerei gedrängt und öffnete sich zunehmend dem Raum und dem Volumen mit einem durchaus haptischen erfahrbaren Material: dem Wachs. Vor allem in seiner flächigen Form, als Wachsbild, trägt der Künstler Schicht für Schicht ungefärbtes Wachs auf. Die quasi additive, wiederholende Tätigkeit bei der Wachstechnik ist ein erster Hinweis auf die Zeit, die bei Feger zunehmend eine zentrale Rolle spielen soll.
Frühe Holzskulpturen - "Blüten"
Zeitgebundenheit und Licht sind gedankliche Brücken seiner „Wachsbilder“ zu den in der Folge entstehenden Holzskulpturen, den „Blüten“ kurz vor der Jahr-tausendwende (, bei denen Wachs teilweise mit eingearbeitet ist). Zunächst ist es wichtig, sie als Fragment eines Ganzen zu begreifen. Das Fragment (Zerbrochene) und das Konstruktive (Additive) durchziehen seither als einer von mehreren Gegensätzen die künstlerische Arbeit von Bruno Feger.
Fegers frühe Holzskulpturen sind gekennzeichnet durch eine summarische Formulierung und durch eine zeichenhafte Verknappung.
Trotz öffnender Durchbrüche des plastischen Volumens hält Feger gleichsam am Prinzip der geschlossenen Gesamtform fest. Feger knüpft – z. B. in der floralen Figur der „Blüte“ von 1999 – an formale Prinzipien des gewachsenen Materials Holz an. Die Formen sind somit nicht nur zur "artifiziellen" Pflanze geworden, sondern gleichsam auch ein Stück weit Holz, also "natürliche" Pflanze geblieben.
Stillleben-Bildhauer
Das Stillleben ist ein Jahrhunderte altes Sujet, ja sogar eine Gattung in der Malerei. Große Maler – von den Holländern des 17. Jahrhunderts angefangen bis hin zu van Gogh – bedienten sich dieses Sujets. Nur selten taucht das Stillleben dagegen in der Skulptur auf.
Spezielle Blumen- oder Früchte-Bildhauer in der Kunstgeschichte zu finden, wird noch ungemein schwerer. Vom Jugendstil über die Neue Sachlichkeit bis hin zur pop art der 1960er und 1970er Jahre waren diese Sujets noch wichtige Ankerpunkte der Kunst, allerdings nur in der Malerei. In der Skulptur dagegen gab es nur wenige Ausnahmen. Mit diesem Motiv betritt Bruno Feger als Bildhauer gewissermaßen Neuland, v. a. in dieser Konsequenz, in der er das Motiv weiter entwickelt und voran treibt.
Schweißtechnik - Natürlichkeit/Künstlichkeit
Die Transformation seines Sujets in Stahl ist einschneidend in Fegers Entwicklung: Bereits seit der Jahrtausendwende bedient sich Fegers nicht nur dieses neuen Werkstoffs, sondern nutzt auch einen für ihn ganz neuen plastischen Aufbau: er schweißt in einer additiven Weise persönlich vorgefertigte, gleichsam genormte Produkte in Form kleiner, aber unter-schiedlich großer Stahlbleche zu "Pflanzen-Figuren" zusammen.
Bruno Feger geht in der Verarbeitung der Blechstücke sehr behutsam ans Werk. Er verschweißt die formal reduzierten Metallelemente zu plastischen Netzwerken: trotz der sichtbar belassenen Schweißnähte gibt Feger den Körpern sehr sensible Rundungen. Typisch für diese biomorph anmutenden Arbeiten sind die fließenden Konturen, die geschwungenen Silhouetten und die weichen Übergänge.
Trotz der Erinnerung an maschinelle Zusammenhänge, an Übernahmen aus der industriellen Produktion, entstehen in der Addition organische, naturnahe Körper in Form von Pflanzen, Früchten und anderen Produkten der Natur. In dieser Verbindung technischer Metallverarbeitungsweisen und natürlichen Formvokabulars liegt das Besondere von Fegers Arbeiten.
Bedingt durch den Materialwechsel vollzieht sich in Fegers Schaffen auch der formale Wandel vom geschlossenen, kompakten Objekt zum filigranen, oft gar fragilen Raumgebilde. Fegers Blick auf natürliche Lebensformen sind in zum Teil monumentale Skulpturen transformiert, die uns auf oft schon befremdliche Weise in Distanz zu Formen von Natur bringen.
Denn die Skulpturen gewähren nicht zuvorderst einen Einblick in naturanaloge Strukturen, sondern stellen einen vor allem artifiziellen Kontext her, in dem die technische Umsetzung deutlich zu Tage tritt. Dadurch sind Fegers Stahlskulpturen trotz ihres abbildhaften Charakters eigentümlich zwischen Figürlichkeit und Abstraktion changierende „Artefakte“.
Fegers neues Material bedeutet aber nicht nur den Verzicht auf ein Material der Natur, sondern auch ein Wechselspiel von„Natürlichkeit“ und "Künstlichkeit". Deshalb ist gerade der Materialwechsel Teil der künstlerischen Idee geworden: Die Pflanzenform wird gleichsam zum technoiden Gebilde.
Ganz bewußt vermeidet Feger die Lebensgröße: Die Maßstäblichkeit nutzt Feger – ähnlich dem Material – als diskretes Medium der Verfremdung und der Distanzierung zwischen Artefakt und Betrachter.
Tulpen, Paradiesbaum, Calla
Lassen Sie mich drei Beispiele herausgreifen.
Im Zentrum der Ausstellung stehen sieben Tulpen, die – Köpfe und Stängel getrennt – in den mittleren Feldern liegen. Diese Arbeit nimmt inhaltlich das Gedicht „Blumentod“ von Annette von Droste-Hülshoff aus dem Jahr 1844 auf, in dem es anfangs heißt:
"Wie sind meine Finger so grün, / Blumen hab' ich zerrissen; / Sie wollten für mich blühn / Und haben sterben müssen."
Dann das Motiv von Plakat und Einladungskarte: Der Paradiesbaum, ein merkwürdig verästelter Baum, ein fragiles Gerippe mit einem auffallend roten vollfruchtigen Apfel. Feger nimmt Bezug zu einem christlichen Motiv und zu einer christlichen Tradition, den sog. Paradiesbaum, der im Mittelalter für das weihnachtliche Krippen- bzw. Paradiesspiel aufgestellt wurde. Hierfür schmückten die Menschen diesen Baum mit roten Äpfeln. Der Weihnachtsbaum stellt also ursprünglich den Baum des Paradieses dar. Er ist Symbol des Falls, mit dem die Sünde in die Welt kam. An seinen Zweigen locken goldene Früchte – der alte Adam ließ sich dazu verführen, von ihnen zu kosten.
Mit seiner Formensprache und mit dem Material, das einst – wie der Stahlpionier Julio Gonzalez es einmal ausdrückte – jahrhundertlang der Produktion von Waffen diente und auch noch heute dient, macht Fegers das Thema des Sündenfalls zu einem zeitlosen und damit auch zu einem höchst aktuellen.
Bei einem weiteren Werk mit zwei Blüten stellt Fegers eine Pflanze dar, die einst aus Afrika nach Europa kam. Das Auffälligste an der Calla ist ihr elegant geformter Kelch: Das ineinander gedrehte Blatt öffnet sich langsam, bis man tief in das Herz hineinblicken kann.
Die Blume hat verschiedene symbolische Bedeutungen. Sie ist die Blume der Reinheit und Sympathie und sie steht für die Schönheit, natürlich immer ganz eng verbunden mit der Vergänglichkeit. Im Kontext von Erinnerungs-(Trauer-)riten steht sie auch für Unsterblichkeit – auch hier wieder ein deutlicher Hinweis auf den Zeitaspekt.
Plastische Gruppen – Figur und Raum
Die additive Netzstruktur der Arbeiten und ihre freie organische Form findet ihre Fortsetzung in der Multiplizierung der Pflanzenformen zu Gruppen. Dieser Weg führt Feger – allerdings nicht ausschließlich – vom Solitär zum mehrteiligen Ensemble, sozusagen in Form von durchschreitbaren Skulpturen – vor allem im Außenraum, aber auch in der heutigen Ausstellung.
Stillleben (Memento Mori)
Fegers Skulpturen – insbesondere die „Ensembles“, aber auch die Solitärs – lassen einen von ihrer Form und ihrem Motiv her an Stillleben denken. Ruft man sich dabei die gemalten Stillleben der Holländer des 17. Jahrhunderts ins Gedächtnis, wird einem gewahr, dass sie zur Zeit ihrer Entstehung häufig Träger verschlüssel-ter Botschaften waren. Ein Deutungsschwerpunkt lag in der Mahnung an die Vergänglichkeit. Darstellungen üppig gedeckter Tafeln waren Orte von Werden und Vergehen und vermittelten die immer gleiche Botschaft von Vergänglichkeit und Luxus. Und eine blühende oder eine verwelkte Blume zählte ebenso wie eine herab gebrannte oder gelöschte Kerze zu den Memento-mori-Motiven. Gerade Fegers Skulpturen tragen viel von Vergänglichem, viel von Morbidem und erinnern an die Zeitlichkeit des Menschen. Die Verwendung des dauerhaften Stahls dagegen entspricht dem menschlichen Bestreben, seine eigene Zeitlichkeit zu beherrschen.
Schriftbilder
Feger hat seit einigen Jahren die filigranen Pflanzenformen zu gestischen Schriftformen im Raum weiterentwickelt – eine konsequente Entwicklung, die nicht vor dem dargestellten Gegenstand halt macht und gleichzeitig wieder etwas abstrakter wird.
Schrift und Skulptur gehen äußerst selten eine Verbindung ein: Spätestens seit den 1960er Jahren wissen wir jedoch, dass sich selbst in der Plastik und in der Installation Sprachbilder umsetzen lassen: wir kennen beispielsweise die plastischen Wortspiele eines timm ulrichs oder Neonarbeiten von Mario Merz, der 1968 in blauer Leuchtschrift fragte, was zu tun sei: „Che fare?“
Noch seltener taucht das Gestische, das Graphistische, das wir aus der Malerei seit dem Informel kennen, in der Skulptur auf. Erwähnt seien aus der Malerei beispielsweise Cy Twombly oder auch Walter Stöhrer: Dieser geht von Schriftzeichen und kalligrafischen Elementen aus, die er sodann mit dynamischer Geste in expressiven Farbbahnen übermalt.
Hier knüpft Feger an, indem er Schrift in Skulptur übersetzt. Vor allem Gestisches erfährt bei ihm eine plastische Umsetzung. Skripturales ist gelegentlich lesbar wie in der Lichtarbeit "Letzte Worte – mehr Licht" von 2013, meist aber eher verrätselt oder im Zwischenbereich der Lesbarkeit. „Man will lesen, muss aber schauen“, das beschreibt die Irritation, die die in einer eher schwer entschlüsselbaren Schrift verfassten Mitteilungen auslösen. Auch bei den gestischen Schriftbildern steht das Dargestellte – das Wort, das Handschriftliche – wieder in bewusstem Widerspruch zur aufwändigen Herstellung. Und als “Stahl-Licht"-Worte verkörpern sie in der gleichzeitigen Verwendung von Stahl und Neon sowohl die Materialität und die Immaterialtät.
Schluss
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Bruno Feger ist heute v. a. Plastiker, also zunächst quasi „Modelleur“. Aus Einzelteilen entwickelt er ein großes Ganzes. Das Einzelteil offenbart noch nichts von der Form der späteren Stahlplastik: Feger läßt ganz bewusst die Schweißnähte stehen. Er gibt dem Material und dem handwerklichen Prozess eine besondere Bedeutung.
Ein wichtiger Aspekt in der Entwicklung von Bruno Feger ist die ständige Variation und Erneuerung eines Themas, das da heißt, Natur in Kunstform zu übersetzen. „Wir wollen bilden, wie die Pflanze ihre Frucht bildet, und nicht abbilden.“ sagte einst hans arp, einer der Protagonisten der sog. organischen Abstraktion. Wie ihm geht es auch Feger nie um die bloße Nachahmung der äußerlich erfahrbaren Natur.
Die Botschaft von Fegers Skulpturen ist v. a. die ihnen eigene Präsenz: Sie sind Konstrukte, die aus der Wirklichkeit heraus gehoben sind. Fegers Skulpturen wirken fragil und doch stabil, artifiziell und doch mit dem Leben verbunden. Feger unterlegt gleichsam einen erzählerischen Kontext, aber bleibt dabei immer in gebührlicher Distanz zu den Ausgangspunkten seiner Skulpturen und Objekte. Natur und Technik werden zwar gleichermaßen auf- und wahrgenommen, aber nie vordergründig inhaltlich thematisiert.
Feger entwickelt seine Arbeiten aus Widersprüchen. Metall beispielsweise bedeutet Volumen, Raum, Materie, Schwere, Härte – Wachs bedeutet Formbarkeit, Linearität, Leichtigkeit. Gleichsam wie ein roter Faden ziehen sich solche Widersprüche durch Fegers bisheriges Werk.
Und dennoch bestechen Fegers Werke in ihrer Einfachheit. Fegers Kunst ist zurückhaltend, vielleicht sogar ein bisschen spröde und sperrig. Aber das spricht ja dann eher für die Qualität seiner Kunst.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.