Piramide di limoni

Die Beständigkeit des Flüchtigen

Nach Sage der Hesperiden erhielten Zeus und Hera (von Gaia) zur Hochzeit einen Zitrusbaum, ein Baum mit goldenen Äpfeln, den Früchten der Liebe, der Fruchtbarkeit und der Unsterblichkeit. Die Zahl drei (siehe Skulptur) erinnert an den Raub der »goldenen Äpfel« durch Herkules aus dem Göttergarten, der durch die Hesperiden und den Drachen Ladon bewacht wurde (Kostbarkeit, Unerreichbarkeit). Auf einer Vielzahl von Darstellungen wurde Herkules mit drei Zitronen in der Hand,die er hinter dem Rücken hält, dargestellt. In der christlichen Tradition findet man die Zitrusfrucht auch vielfach als Grabbeilage in der Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben. Seit der Renaissance und auch nach der Reformation, in Zeiten zunehmenden Handels, entwickelten sie sich zum Sinnbild für Wohlstand und Einfluß. In der Bilderwelt der Medici und später in der nordeuropäischen Stillebenmalerei werden sie zu wichtigen Motiven.

Ihre Bildsprache umschließt gleichermaßen Schönheit und Zerbrechlichkeit.

Im Stillleben, im Sein der Dinge, wird die Vergänglichkeit alles Augenblicklichen und die Allgegenwart des Todes verhandelt, der Zeit unterliegende Veränderungen. Sie führen oftmals die Freuden des Lebens und die Hinfälligkeit allen Seins vor Augen. Entgegen dem Allerweltsprodukt, welches es heute darstellt, galten die Zitrusfrüchte, als sie nach Europa kamen, als Kostbarkeiten aus dem Garten der irdischen Freuden. Vielen unzugänglich, waren sie exotische Geschenke für Fürsten und wurden alsbald zum Statussymbol und verkörperten Macht. Die Zitrone versorgte das Römische Reich und später auch die europäischen Kolonialmächte als Teil des Welthandels mit »Energie«, in der kleinen Skulptur »Capri«von Joseph Beuys bringt sie das Licht in die Welt, sie spiegelt weltpolitische Verhältnisse und wirtschaftliche Umwälzungen und Neuerungen, wie wir sie auch heute mit der Globalisierung und Digitalisierung haben. In ihr findet sich das Beständige, aber auch das Fragile der Welt.

Durch ihr gleichzeitiges Blühen und Fruchttragen erschließt die Zitrone Gegensätzliches. Die Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen führte unmittelbar zur gestalterischen Konstitution der Skulptur. Der kompositorische Grundkonflikt wird gleich im Spannungsfeld der Stabilität, welche die sprachliche Methapher des Titels, nämlich Pyramide, Inbegriff für Macht und Dauer, suggeriert und der instabilen Übereinanderlagerung der zitronenähnlichen Rundkörper, aufgebaut. Die solide Schichtung kubisch behauener Steine und die klare Geometrie im Bau der Pyramiden bedeuten Zeitlosigkeit, das versprechen hier nur die Zeichen des Titel »Piramide di Limoni« , dem steht in der realisierten Skulptur ein fast frivoles Spiel mit der Schwerkraft entgegen. Die potentielle Mobilität und Schöpferkraft der Freiheit, Fahne der Moderne. Ein bedenklicher Aspekt könnte sein, wo ist der Halt? Doch keine Dauer. Die Natur steckt in der Krise. Mit diesen widersprüchlichen Erfahrungen muß sich der Zeitgenosse auseinandersetzen. Erfahrungen setzen sich aus Schichten von Erlebtem zusammen. Scheinbar nur provisorisch, punktuell zusammen geschweißte kleine Stahlplättchen, fast natürlichen Wachstumsprozessen folgend, umschließen ein vor dem Außen geschütztes inneres »Fruchtuniversum«, welches Zeit speichert, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die darin wie reifender Wein im dunklen Keller lagern. Dem Aneinderreihen der kleinen Stahlflächen folgt das Aufeinanderschichten der Reihen zum Volumen, dem erfolgt das Schichten der Raumkörper zur Skulptur, die Sie (verehrtes Publikum) hier nun vor sich sehen.
Dieses Schichten von Raum hat ihre Entsprechung im Schichten von Zeit. Im Durchscheinen des Metallgrunds durch die aufgetragenen Farbschichten, die ihrerseits Farbverläufe und Farbflüsse zeigen, alles Zeitlichkeit.

Dieses Schichten von der Basis bis zur Spitze ist das Konstruktionsprinzip der Pyramiden.
Eine Himmelsleiter vom Materiellen, der Welt der Sinne, zum Transzendenten.

Doch auch in diese Welt teilt sich die Skulptur »Piramide di Limoni« mit. Durch die unterschiedliche Verdrehung der drei gestapelten »Limoni« greifen sie um sich in den Raum, in die Umgebung. Sie führen den Blick des Betrachters in verschiedene Blickrichtungen, in die Welt, zu den Bergen, zur Stadt, und zum See. In die Nähe und in die Ferne. In die bewohnte Welt, in das unbewohnte Ungewisse. Das Zuhause und das Ferne. Bruno Feger in Cannero Riviera, 2020

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